„Frauen müssen einander helfen und gemeinsam Wege an die Spitze bahnen.“
FiF: Frau Martinez, Sie sind CTO bei Uberall. Erläutern Sie bitte kurz Ihren Lebenslauf und was Uberall genau anbietet.
Ich habe mich schon sehr früh für Technik begeistert. Nach meinem Studium in Computer Engineering
an der Universidad de la República in Uruguay sowie Informatik an der California State University,
begann ich als Ingenieurin in Los Angeles zu arbeiten. Inzwischen blicke ich auf eine 20-jährige
Erfahrung im Technologiebereich zurück. Von MarTech bis HRTech war vieles dabei, eine Konstante
gab es aber immer: den B2B-Fokus. Momentan bin ich als CTO bei Uberall tätig, einem globalen
Anbieter von Marketinglösungen rund um die hybride Customer Experience. Einfach ausgedrückt: Wir
helfen Unternehmen dabei, mehr Kund:innen in lokale Geschäfte zu bringen. Ich leite dort ein Team
von Product Manager:innen, Designer:innen und Ingenieur:innen, die für die neuen Entwicklungen der
Plattform Uberall CoreX verantwortlich sind. Zudem kümmere ich mich seit der Übernahme des
Wettbewerbers MomentFeed im Sommer 2021 um die Zusammenführung der Technologien beider
Unternehmen sowie die Entwicklung neuer Features.
Neben der Technologie lag mir schon immer das Thema Diversity am Herzen. Gerade in der
Technologiebranche ist Vielfalt leider noch sehr unterrepräsentiert. Daher haben mich meine
Leidenschaft für Diversität sowie persönliche Einblicke in die Branche 2018 dazu veranlasst, zu
gründen – ATHENAWORKS. Ziel dieses Unternehmens ist es, Firmen beim Aufbau von Tech-/IT-Teams mit diversen Talenten zu unterstützen – sei es nach Geschlecht, Religion, ethnischer Zugehörigkeit oder anderen Merkmalen. Die Förderung von Vielfalt im Technologiesektor gewann für mich noch mehr an Bedeutung, als ich meinen Sohn zur Welt brachte und am eigenen Leib erfuhr, wie
schwierig es als Frau ist, Familie und Vollzeitjob unter einen Hut zu bringen.
FiF: Sie leiten ein Team von IngenieurInnen. Leider ist die Anzahl weiblicher Führungskräfte in der Tech-Branche immer noch sehr gering. Woran hapert es bisher?
Obwohl sich die Branche in den letzten Jahren bereits weiterentwickelt hat, gibt es noch viel zu tun.
Qualifizierte und talentierte Frauen werden bei Stellenbesetzungen und Beförderungen noch immer zu
oft übersehen. Darüber hinaus gibt es auch heute noch ein weltweites Lohngefälle – ein Problem, an
dem CTOs, Unternehmensleiter:innen, Frauen in der Technik und andere kontinuierlich arbeiten
müssen. Denn nur wenn wir uns dieses Problems bewusst sind, können wir uns auch auf dessen
Lösung fokussieren.
Frauen müssen einander helfen und gemeinsam Wege an die Spitze bahnen. Solch ein Verhalten und
Denken ist ausschlaggebend, damit auch die nächste Generation von Frauen ihre Ziele erreichen kann.
Als CTO und Unternehmerin bin ich mir meiner Vorbildfunktion bewusst. Mit den Veränderungen, die
ich anregen kann, möchte ich auch andere Frauen dazu ermutigen, aufmerksam zu sein. Mein Appell
an alle Frauen da draußen lautet deshalb: Habt den Mut, den Schritt in die Technologie zu wagen und
helft euch gegenseitig. Denn das ist von entscheidender Bedeutung, damit wir das bestehende Problem
der Ungleichverteilung von Geschlechtern langfristig verbessern können.
FiF: Welches war denn bisher Ihre verrückteste Situation/Frage/Gespräch, bei der Sie erkannt haben, dass Frauen in der Tech-Branche teilweise noch anders behandelt werden?
Insgesamt hatte ich karrieretechnisch immer sehr viel Glück. Ich hatte großartige Möglichkeiten und die
besten Mentoren, die man sich wünschen kann. Ich weiß, dass viele Frauen dieses Glück nicht haben
bzw. hatten, daher bin ich sehr froh darüber, dass mir auf meinem Karriereweg nicht allzu viele Steine
in den Weg gelegt wurden.
Die Geburt meines Sohnes hat mir allerdings die großen Herausforderungen vor Augen geführt, mit
denen sich berufstätige Frauen oftmals konfrontiert sehen. Ich befand mich gewissermaßen in einer
Zwickmühle: Natürlich war mein Sohn alles für mich, aber ich liebte auch meinen Job. So war es für
mich ein echter Balance-Akt, das Gefühl, etwas zu leisten, sowie Raum und Zeit für beides miteinander
zu kombinieren. Grundsätzlich ist das aber natürlich ein Thema, das nicht nur den Technologiesektor
betrifft, sondern sich durch alle Branchen zieht.
FiF: Sie haben gleichzeitig zu Ihrem Job bei Uberall ATHENAWORKS gegründet, ein Unternehmen, welches weibliche Technologiepartnerinnen unterstützt. Wie genau läuft dies ab und wie treffen Sie auf diese Frauen?
Es war nicht ganz zur gleichen Zeit. Ich gründete ATHENAWORKS gemeinsam mit anderen
Mitbegründern etwa ein Jahr bevor ich zu MomentFeed kam. Die Idee war einfach: Diversität sollte Teil
der Kernstrategie des Unternehmens sowie jeder Entscheidung sein, die wir treffen. Denn Vielfalt kann
kein Komitee oder ein nachträglicher Gedanke sein, wenn wir wirklich einen Wandel herbeiführen
wollen. Wir begannen also mit Unternehmen zu arbeiten, die Tech-Teams brauchten, aber genauso
Wert auf Diversity legten. Indem wir uns vor allem auf Teams konzentrierten, die aus der Ferne
arbeiteten (das war vor der Pandemie), leisteten wir auch Pionierarbeit. So konnten wir sicherstellen,
unabhängig vom Standort die besten Talente finden zu können.
FiF: Bei ATHENAWORKS achten Sie stark auf diverse Teams. Welche Vorteile dieser
Zusammenstellung können Sie in der Praxis erkennen?
Aus meiner Sicht profitieren Unternehmen maßgeblich von gemischt besetzten Teams. Das Brechen
mit bestimmten Stereotypen bezüglich spezieller Berufsbilder bringt nicht nur Freiheit und verbesserte
Entwicklungschancen für den Einzelnen oder die Einzelne mit sich, sondern wirkt sich auch positiv auf
den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens aus.
Es gibt darüber hinaus zahlreiche Studien, die belegen, dass vielfältige Teams bessere Leistungen
erbringen und Ergebnisse erzielen. Wir leben in einer diversen und vernetzten Welt. Die Nutzer von
Produkten sind vielfältig, also sollten es auch die Menschen sein, die sie herstellen. Diverse Teams
können sich nicht nur viel besser in die Bedürfnisse unterschiedlicher Kund:innen und Zielgruppen
hineinfühlen, sondern treffen darüber hinaus unter Einbeziehung verschiedener Stärken und
Blickpunkte auch bessere Entscheidungen. Eine heterogene Belegschaft bringt neben einem breiten
Wissensschatz außerdem unterschiedliche Fähigkeiten und neue Perspektiven in die Organisation ein.
Dies wiederum verstärkt die Kreativität des Teams und die Innovationskraft des Unternehmens.
FiF: Neben all den beruflichen Projekten und Erfolgen sind Sie nebenbei auch Mutter. Was raten Sie jungen Müttern, die Zweifel an einer ambitionierten Karriere/Selbständigkeit hegen?
Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, ist nicht immer einfach. Man muss gut organisiert sein,
anstehende Aufgaben effizient erledigen und spontan auf nicht vorhersehbare Situationen reagieren
können. Von all diesen Fähigkeiten profitiert aber letztendlich auch der Arbeitgeber.
Ich würde jungen Müttern definitiv raten, keine Angst vor dem Schritt in die Selbstständigkeit oder in
höhere Positionen zu haben, wenn sie genau das wollen. Zumal immer mehr Unternehmen
Maßnahmen für ein familienfreundliches Arbeitsleben anstreben. Dazu gehören neben der
Wertschätzung von Eltern auch flexible Arbeitsbedingungen und eine familienfreundliche
Unternehmenskultur. Die Bemühungen zur Familienfreundlichkeit von Firmen wirken sich zudem positiv
für die Unternehmen selbst aus, etwa wenn sie neue Talente gewinnen oder alte Mitarbeiter halten
wollen. Frauen sollten gezielt nach Unternehmen, die familienfreundliche Werte vertreten. Besonders
im Tech-Sektor gibt es viele Möglichkeiten. Wenn ein Arbeitgeber Frauen nicht schätzt, weil sie Mutter
oder Betreuerin sind, verdient er sie nicht.
FiF: Wie strukturieren Sie denn Ihren Alltag? Was hilft Ihnen im Job und der Familie den Überblick nicht zu verlieren?
Ich habe einen fantastischen Ehemann. Wir sind ein eingespieltes Team, das sich gegenseitig
unterstützt und gemeinsam um die Familie kümmert. Darüber hinaus ist mein Google-Kalender mein
bester Freund. Was nicht in meinem Kalender steht, findet nicht statt. Ich schaue normalerweise immer
sonntags in meinen Kalender und bereite mich auf die kommende Woche vor. Routinen helfen meiner
Meinung nach sehr dabei, einen Überblick zu behalten und alles unter einen Hut bringen zu können.
Ich habe auch immer eine Liste mit Aufgaben bei mir. Am wichtigsten ist es aber, sich selbst neben all
den anstehenden To-Dos nicht aus den Augen zu verlieren und “nett” zu sich zu sein. Auch mir gelingt
nicht immer alles. Wenn dem mal so ist, atme ich einmal tief durch, notiere mir, was ich beim nächsten
Mal besser machen könnte, und mache weiter. Niemand ist vollkommen: Man kann nicht immer der
perfekte Elternteil, Chef oder Arbeitgeber sein, aber solange man stets sein Bestes gibt, kann man sich
nichts vorwerfen (lassen).
FiF: Haben Sie ein Produkt/Buch/Hilfsmittel, welches Ihren Arbeitsalltag deutlich
erleichtert hat und Sie jeder Kollegin empfehlen würden?
Ehrlich gesagt, besitze ich keine materiellen Gegenstände, die mir den Arbeitsalltag im Wesentlichen
erleichtern. Ich hänge ganz grundsätzlich eher nicht an bestimmten “Dingen”. Dafür habe ich aber
sehr liebe Menschen um mich herum, die mir in meiner Karriere geholfen haben – dazu zählen auch
großartige Mentoren und Sponsoren, auf die ich zählen konnte. Deshalb empfehle ich allen, ihr Leben
mit Menschen anzureichern, die sie schätzen und bei Bedarf unterstützen.
Darüber hinaus sind Networking-Veranstaltungen und soziale Gruppen für jede Frau in der
Technologiebranche von großem Nutzen. In jedem Land, jeder Stadt und jeder Branche gibt es von
Frauen geführte und auf Frauen ausgerichtete Gruppen, die sich treffen und Tipps und Ratschläge
austauschen. Hier erhalten viele Frauen auch Hinweise, auf die sie sonst nicht so leicht stoßen – zum
Beispiel wie man Gehälter aushandelt oder sich für die nächste Karrierechance bewirbt. Ich würde
Frauen explizit dazu raten, solchen Gruppen beizutreten. Sie können nur dazulernen.
Außerdem kann es sich auch lohnen, zu prüfen, was es im eigenen Unternehmen bereits gibt. Bei
Uberall gibt es zum Beispiel einen „Women at Uberall“-Kanal sowie eine Reihe von Frauen-geführten
und -orientierten Initiativen, wie beispielsweise Kreativ-Workshops und Vorträge, die darauf abzielen,
ein gesundes und anspornendes Arbeitsumfeld zu schaffen.
Genauso wichtig ist es aber, sich nicht nur auf Gruppen mit einem frauenspezifischen Themenfokus
zu konzentrieren. Es bleibt nach wie vor essentiell, sich fortlaufend weiterzubilden und seine
Fähigkeiten zu verbessern. Dies funktioniert bestenfalls über interne und externe Fortbildungen,
Selbststudium oder aber auch den Austausch in größeren Technik-spezifischen Formationen.
Zum Schluss möchte ich den Leser:innen dieses Interviews gerne noch ein Mantra mit auf den Weg
geben, das mir mein ehemaliger Yogalehrer an die Hand gab: “Everything raises, everything passes
away, even this.” Wenn ich also gestresst bin oder etwas Schwieriges durchmache, erinnere ich mich
an diesen Spruch. Es wird vergehen