Veronika Hucke darüber, warum wir Hilfe brauchen, um fair zu führen und wie es gelingt.
Die Zeiten homogener Teams sind vorbei. In den allermeisten arbeiten heute Menschen unterschiedlichen Geschlechts, Generationen und Herkunft zusammen, deren Vorstellungen, Erfahrungen und Lebensentwürfen sich grundsätzlich unterscheiden. Veronika Hucke, Autorin von „Fair führen“, kennt die Herausforderungen, die daraus entstehen, und gibt praktische Tipps für Vorgesetzte.
Automatisch geht es selten fair zu
In „bunten“ und zunehmend verteilten Teams wird es immer wichtiger, den Erfordernissen und Erwartungen unterschiedlicher Menschen gerecht zu werde. Nur so ist es möglich, gleiche Voraussetzungen zu schaffen und Barrieren abzubauen, die Beschäftigte frustrieren und Karrieren blockieren können.
Tim wird Hakan bevorzugt
Allerdings sind wir selten fair, wenn wir uns nicht aktiv darum bemühen. Beispiel gefällig? Selbst bei gleichem Lebenslauf und Anschreiben werden Tim Schultheiß oder Lukas Heumann viel eher zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen als Hakan Yilmaz oder Ahmet Aydin. Stereotype ebenso wie unbewusste Vorurteile oder Präferenzen (Unconscious Bias) beeinflussen allerdings nicht nur, was man jemandem zutraut. Sie definieren auch, welches Verhalten wünschenswert oder auch nur akzeptabel erscheint. So wird oft das gleiche Benehmen bei einem Mann bzw. einer Frau grundsätzlich unterschiedlich beurteilt. Wo er als „entschlossen“, „engagiert“ und „dynamisch“ gilt, wird sie als machthungrig bezeichnet, nicht bescheiden genug und zu sehr auf das eigene Fortkommen bedacht.
Auch über die Aufgabenverteilung im Team entscheiden nicht ausschließlich Interesse, Qualifikation oder die Stellenbeschreibung. Wenn es um Standardaufgaben geht, darum Protokoll oder Listen zu führen, den Besprechungsraum zu buchen oder Geburtstagsgeschenke zu organisieren, kommen vorzugsweise Frauen zum Zug. Obwohl diese Tätigkeiten ohne Zweifel wichtig sind und das Funktionieren einer Abteilung gewährleisten, eines haben sie gemeinsam: Sie sind nicht besonders glamourös und empfehlen niemanden für höhere Weihen.
Kleine Handlungen mit großer Wirkung
Zudem reagieren wir sehr unterschiedlich auf verschiedene Menschen: Während wir diejenigen, denen wir kritisch gegenüberstehen, mit sogenannten Mikro-Ungerechtigkeiten potenziell aus dem Takt bringen, mit einer abweisenden Körperhaltung, weil wir sie unterbrechen oder irritiert schauen, können sich andere unserer begeisterten Aufmerksamkeit sicher sein.
Wir freuen uns, wenn sie gute Argumente bringen und fragen nach, wenn uns etwas nicht schlüssig erscheint. Wir zeigen uns interessiert und zugewandt und feuern sie praktisch an, ihr Bestes zu geben. Ein solches Verhalten wird als „Mikro-Bestätigung“ bezeichnet und unterstützt unser Gegenüber in kritischen Phasen.
Dabei haben Ungerechtigkeiten – ob groß oder klein – einen hohen Preis, nicht nur für die Betroffenen. Weil sie den Zusammenhalt im Team schwächen und unnötige Fronten aufwerfen. Weil sich Menschen, die das Protokoll schreiben, weniger rege an der Diskussion beteiligen und dadurch spannende Perspektiven verloren gehen. Oder die Betroffenen geben irgendwann auf und verlassen das Unternehmen oder zumindest die Abteilung.
Eine konstruktive Stimmung im Team und eine gute Zusammenarbeit setzen Fairness voraus. Dafür braucht unser Gehirn Hilfe. Strukturen, die Vergleichbarkeit gewährleisten. Stolpersteine, die einen Automatismus unterbrechen. Ein Sicherheitsnetz, das uns in Situationen auffängt, in denen wir leicht Fehleinschätzungen erliegen.
Checklisten
Ein extrem hilfreiches Instrument sind dabei Checklisten. Warum? Weil wir gelassen überlegen können, was uns wichtig ist und welche Prioritäten wir setzen, bevor unser Verstand in der Hitze des Gefechts auf Autopilot schaltet.
Hierfür überlegen Sie sich vorher, wann sich Fehler einschleichen, wann Ihre Handlungen eventuell mit Ihren Werten kollidieren – bei welchen Gelegenheiten, bei welchen Menschen. Dann planen Sie einen Stopp ein, ein Innehalten, um nicht blind in eine Situation zu stolpern, sondern sie überlegt anzugehen. Was sind Ihre Trigger? Was beeinflusst Ihr Verhalten? Welche Informationen interpretieren Sie eventuell falsch? Was übersehen Sie vielleicht? Notieren Sie sich, wonach Sie Ausschau halten wollen.
Auch Teams profitieren von Checklisten
Genauso hilfreich sind Checklisten fürs Team. Sie haben sogar noch einen weiteren Vorteil: Sie helfen, gute Vorsätze einzuhalten, weil sie Teammitgliedern die Erlaubnis – und damit die Macht – geben, auf die Einhaltung von Vereinbarungen und Regeln zu pochen.
Wie lassen sich solche Absprachen entwickeln? Überlegen Sie mit Ihrem Team, welche Situationen oder Verhaltensweisen zu Ungerechtigkeiten führen. Kommen einige immer zu spät zum Teammeeting und halten andere auf? Gibt es einige, die besonders viel sprechen und niemanden sonst zu Wort kommen lassen oder werden manche oft unterbrochen? Liefern die einen zuverlässig ab, und andere sehen die Dinge eher gelassen? Wenn Sie wissen, was es zu verändern gilt, geht es an die Umsetzung. Nehmen Sie sich dabei nicht zu viel vor. Konzentrieren Sie sich auf maximal drei bis fünf Regeln. Wenn die zum Automatismus geworden sind, können Sie sich neuer Themen annehmen.
- Überlegen sie gemeinsam, welche Lösungen jemand kennt, die in der Vergangenheit oder in anderem Kontext funktioniert haben.
- Definieren Sie auf dieser Basis relevante Verhaltensweisen, zum Beispiel grundsätzlich einmal um den Tisch zu gehen, um zu sehen, wer alles einen Beitrag leisten möchte.
- Machen Sie einen Plan und definieren Sie Verantwortlichkeiten.
- Vereinbaren Sie, wie Sie mit Regelverstößen umgehen.
Obwohl sie das Leben leichter machen, werden Checklisten oft müde belächelt. „Ich kann das auch so“ oder „ich habe Erfahrung“, denkt man dann. Wer das glaubt, könnte sich Flugkapitän Chesley B. Sullenberger III zum Vorbild nehmen – Sully, den Held vom Hudson. Er hatte 20.000 Stunden Flugerfahrung. Aber als man nach der Notwasserung den Voice-Rekorder aus dem Cockpit auswertete, hörte man darauf ihn und seinen Co-Pilot, wie sie systematisch ihre Checklist durchgingen.
Tipps für gerechte Entscheidungen
Wechseln Sie die Beteiligten aus. Überlegen Sie sich, ob Sie auf einen Menschen beziehungsweise eine Situation anders reagieren würden, wenn Handelnde eine andere Demografie hätten. Wenn sie ein anderes Geschlecht hätten, eine andere Nationalität, eine andere Hautfarbe oder einen anderen Dialekt. Wenn sie jünger oder älter wären.
Definieren Sie Anforderungen. Machen Sie transparent, was Sie erwarten. Erfolgsverspechende Verhaltensweisen können sich für verschiedene Menschen unterscheiden. Definieren Sie das Ziel, statt vorauszusetzen, dass für alle der gleiche Weg dorthin führt.
Legen Sie gleiche Standards an. Überprüfen Sie, dass Sie gleiche Anforderungen an unterschiedliche Menschen stellen. Dass Sie Regeln nicht unterschiedlich streng anlegen. Dass gleiche Voraussetzungen gelten, unabhängig, um wen es geht.
Nicht alles im Kopf
Verlassen Sie sich mehr auf Notizen als auf Ihre Erinnerung. Notieren Sie bei Teammitgliedern, die sie weniger gut kennen, Dinge, die Sie beindruckt haben. Was Ihnen bei denjenigen, die Ihnen nahe stehen, automatisch einfällt, wird sonst leichter übersehen.
Holen Sie sich Hilfe. Ermächtigen Sie Teammitglieder, mit Ihnen gemeinsam für Fairness zu sorgen, zum Beispiel durch den Einsatz von Checklisten.